arbeitsdrone_544 hat geschrieben:Charles Whitman
SCHüSSE VOM TURM
Der 1. August 1966 ist ein sonniger Tag in Austin, Texas. Auf dem Campus der Universität geht alles seinen normalen Gang, bis der Student Charles Whitman gegen 11 Uhr den 30-stöckigen Glockenturm auf dem Gelände betritt. Bewaffnet mit 3 Gewehren (davon eines mit Zielfernrohr) und 4 Handfeuerwaffen begibt er sich auf die Aussichtsplattform, erschießt die diensthabende Rezeptionistin und 2 Besucher, verwundet 2 weitere schwer. Um 11:48 Uhr beginnt Whitman wild um sich zu schießen, auch auf eintreffende Polizeibeamte. Mehrere Menschen sinken getroffen zu Boden, andere schleppen sich schwerverwundet in Deckung. Erst nach über einer Stunde gelingt es 3 Polizisten und dem Zivilisten Altan Crum, Whitman auf dem Turm nahe zu kommen. Der bewaffnete Crum eröffnet das Feuer auf Whitman und dem Polizisten Romero Martinez gelingt es daraufhin, den Täter mit 6 Schüssen auszuschalten. So endet der Tag des Charles Whitman um 13:24 Uhr mit 14 Toten und 30 zum Teil Schwerverletzten.
Doch damit war die Tragödie noch nicht zu Ende. Die Polizei entdeckte später noch die Mutter und die Ehefrau Whitmans, beide in der Nacht vor dem Amoklauf erstochen.
Charles Whitman, aus gestörtem Elternhaus stammend, wurde 1941 geboren, erlernte bei den Marines den Umgang mit Gewehren und entwickelte sich in den Jahren nach seiner Militärzeit zu einem Waffennarren. Er steigerte sich in eine innere Wut, die auch zu einem Besuch bei einem Psychiater führte, der die Gefahr jedoch nicht bemerkte. So konnte es zu jenem verhängnisvollen 1. August kommen, den 90 Minuten des Charles Whitman.
alternative Quelle (die WELT von heute): "Passanten abknallen"
Die wahre Geschichte des Charles J. Whitman, aufgeschrieben von Hans Christoph Buch
Am 1. August 1966 gegen neun Uhr morgens betrat ein hochaufgeschossener blonder junger Mann die "hardware"-Abteilung des Kaufhauses Sears & Roebuck in Austin, Texas, und kaufte eine Schrotflinte und zwölf Runden Munition, für die er mit seiner American-Express-Karte bezahlte. Auf die Frage des Angestellten, wozu er soviel Munition benötige, antwortete er, er wolle Wildschweine jagen, von denen es um diese Jahreszeit in den Wäldern um Austin wimmelt. Sein Name war Charles J. Whitman, 25, Ingenieurstudent an der University of Texas und hoch dekorierter Scharfschütze bei den US-Marines, die ihn wegen unerlaubten Waffenbesitzes und anderer Verstöße gegen die militärische Disziplin vom Feldwebel zum Gefreiten degradiert hatten. Vier Monate zuvor hatte er dem Psychiater Dr. Maurice Healey, den er wegen seiner ständigen Kopfschmerzen konsultierte, anvertraut, er wolle mit seinem Jagdgewehr von der Aussichtsplattform eines hundert Meter hohen Turms auf dem Universitätsgelände wahllos Passanten abknallen - eine Drohung, die der Psychiater nicht ernst nahm, weil der Campusturm, von dem sich in den fünfziger Jahren mehrere Selbstmörder gestürzt hatten, immer wieder in den Alpträumen seiner Patienten auftauchte.
Nachdem Charles Whitman in einem Eisenwarengeschäft zusätzliche Munition gekauft hatte, lud er sein Waffenarsenal, bestehend aus einer abgesägten Schrotflinte, einem Karabiner und einem automatischen Gewehr mit Zielfernrohr, sowie zwei Pistolen, drei Messern und einer Machete, in einen Stahlschrank, den er vorher mit Trinkwasser, Konservendosen, rosa Klopapier und Deodorant vollgepackt hatte und mit Hilfe eines dreirädrigen Karrens ins Erdgeschoss des Turmes beförderte; die Rezeptionistin hielt den jungen Mann in Blue Jeans, T-Shirt und grauem Overall für einen auf dem Campus beschäftigten Klempner oder Elektriker und ließ ihn anstandslos passieren.
Es war elf Uhr vormittags. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Charles Whitman in den frühen Morgenstunden zuerst seine Mutter totgeschlagen hatte, die auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu ihrem Sohn nach Austin gezogen war, und anschließend seine 22-jährige Frau Kathy mit einem Jagdmesser im gemeinsamen Ehebett erstochen hatte, "aus Liebe", wie er in einem später aufgefundenen Abschiedsbrief schrieb, "um ihr die Peinlichkeit zu ersparen, mich zu überleben".
"Ich habe soeben meine Mutter getötet", heißt es in dem "To Whom It May Concern" überschriebenen Brief: "Wenn es einen Himmel gibt, ist sie jetzt dort. Wenn nicht, habe ich sie von ihrem Leiden erlöst. Ich habe meine Mutter von ganzem Herzen geliebt."
Er fuhr mit dem Aufzug in den 27. Stock und bugsierte den schweren Stahlschrank über zwei Treppen zu der ein Stockwerk höher gelegenen Aussichtsplattform. Hier angekommen, tötete er die 47-jährige Edna Townsley, eine geschiedene Mutter von zwei Kindern, die an diesem Tag aushilfsweise das auf der Plattform ausliegende Gästebuch führte, mit einem Kopfschuss und einem Kolbenhieb, dessen Wucht ihr den Schädel spaltete. Nachdem Charles Whitman sein Waffenarsenal ausgepackt und seine Gewehre geladen hatte, betraten Mark und Mike Gabour, die halbwüchsigen Söhne eines Tankwarts aus Texarcana, der mit seiner sechsköpfigen Familie in Austin Urlaub machte, die Aussichtsplattform, gefolgt von Mrs. Gabour und ihrer Schwägerin, Marguerite Lamport. Mehrere Schüsse fielen, und der 16-jährige Mark brach tödlich getroffen auf der Türschwelle zusammen, während sein älterer Bruder schwerverletzt seinem Vater in die Arme fiel und Mrs. Gabour und ihre Schwägerin blutüberströmt die Treppe hinunter rollten, die eine verwundet, die andere tot.
Das Glockenspiel auf der Spitze des Turms zeigte durch zwölfmaliges Schlagen die Mittagsstunde an. Während von der Aussichtsplattform zuerst vereinzelte Schüsse, dann regelmäßiges Gewehrfeuer widerhallte, hofften ein Stockwerk tiefer Mr. Gabour und sein Schwager anderthalb Stunden lang vergeblich auf Hilfe und versuchten verzweifelt, das Leben ihrer schwerverletzten Angehörigen zu retten.
Inzwischen hatte es sich der Mörder auf der von einer steinernen Galerie umgebenen Aussichtsplattform bequem gemacht, sein Waffenarsenal griffbereit neben sich, und beobachtete durchs Zielfernrohr seines 6-mm-Karabiners den von der Mittagssonne überfluteten Campus und die umliegenden Straßen der Stadt, auf denen Menschen, die von hier oben klein wie Ameisen aussahen, nichtsahnend ihren Geschäften nachgingen.
Norma Bager, eine 23-jährige Doktorandin, die im vierten Stock des Universitätsturms arbeitete, hörte eine Serie von Detonationen, die wie Knallfrösche klangen, und sah, als sie aus dem Fenster blickte, sechs Passanten, die einer nach dem andern zusammenknickten und mit grotesken Verrenkungen zu Boden fielen. Sie hielt das Ganze für einen von Studenten inszenierten, makabren Scherz, bis sie merkte, dass die Gestürzten sich in ihrem Blut wälzten.
Das erste Opfer war der 28-jährige Pat Sonntag, Rettungsschwimmer im städtischen Swimmingpool, der seine 18-jährige Freundin Claudia Rutt zum Arzt begleitete, als diese mit einem Aufschrei neben ihm zusammenbrach; Pat beugte sich über sie und wurde im gleichen Augenblick von einer Kugel getroffen: beide waren sofort tot. Drei Straßen entfernt trat Roy Dell Schmidt, ein Elektriker, durch den Lärm neugierig geworden, vor die Tür seines Ladens und sagte, zu einem seiner Kunden gewandt, sie befänden sich außerhalb der Reichweite des Schützen, als ihn ein Schuss ins Herz traf; Harry Walchuk, ein 39-jähriger Politikprofessor und Vater von sechs Kindern, stand rauchend vor einem Zeitungskiosk auf der an das Universitätsgelände angrenzenden Guadeloupe Street, als eine Kugel seine Brust durchbohrte; die Pfeife glitt aus seinem Mund und er sank tödlich verwundet zu Boden. Der 19-jährige Thomas Eckman, ein angehender Dichter, warf sich schützend über seine im achten Monat schwangere Kommilitonin Claire Wilson und starb, während Claire zwar ihr Baby verlor, aber die Schussverletzung überlebte. Der 33-jährige Mathematiker Robert Boyer, unterwegs nach Liverpool in England, wo seine schwangere Frau mit zwei Kindern auf ihn wartete, wurde mitten auf dem Campus von einer Kugel niedergestreckt, die sein Rückgrat durchschlug und ihn sofort tötete, während Thomas Karr, ein 24 Jahre alter Student, der die ganze Nacht hindurch gearbeitet und soeben sein Examen bestanden hatte, beim überqueren der Guadeloupe Street von einem tödlichen Schuss getroffen wurde. Der 23-jährige Polizist Billy Speed, der an diesem Tag Streifendienst hatte und als erster am Einsatzort war, ging hinter einer steinernen Brüstung in Deckung und wurde, während er seine Pistole entsicherte, zwischen die Augen in den Kopf geschossen.
Durch Luken in der Mauer, die zum Abfluss des Regenwassers dienten und wie Schießscharten wirkten, feuerte der hinter dem Ziffernblatt der Turmuhr kauernde Schütze, ständig seinen Standort wechselnd, eine Kugel nach der anderen über rote Ziegeldächer und gepflegte Grünflächen in die umliegenden Straßen. Der Campus, auf dem es eben noch von Menschen gewimmelt hatte, war plötzlich leergefegt; die meisten Gebäude waren evakuiert, der Zugang zum Universitätsgelände weiträumig abgesperrt worden; hinter jeder Hausecke und Mauer waren Beamte von FBI und Polizei in Stellung gegangen, unterstützt von Scharfschützen der Armee und freiwilligen Helfern aus der Bevölkerung.
Nach anderthalbstündiger Belagerung, in der die Turmspitze so heftigem Beschuss ausgesetzt war, dass der gesamte Verputz abbröckelte - sogar eine mit Scharfschützen bemannte Cessna kam zum Einsatz, die jedoch gegen den im 28. Stock verschanzten Killer nichts ausrichten konnte - gelang es den Polizeioffizieren Martinez und McCoy und dem Zivilangestellten Allen Crum, der sich ihnen freiwillig angeschlossen hatte, auf die Aussichtsplattform zu schleichen und Whitman mit gezielten Schüssen aus einem Karabiner, einer Schrotflinte und einem 38er Colt zu töten.
Bei der vom Gericht angeordneten Obduktion der Leiche wurde im Gehirn ein taubeneigroßer Tumor entdeckt, der als Beweis dafür herhalten musste, dass Whitman das Massaker im Zustand "geistiger Umnachtung" begangen habe und deshalb für seine Handlungen nicht verantwortlich zu machen sei. Sein Leichnam wurde zusammen mit dem der Mutter in seiner Heimatgemeinde in Florida kirchlich beigesetzt, im Beisein von Mr. Whitman, der auf Fragen von Reportern, ob der Hass auf seinen Vater Charles zu dessen Verzweiflungstat getrieben habe, antwortete, er sei sich keiner Schuld bewusst: er habe seinen Sohn hart, aber fair erzogen und von Kindesbeinen an im Umgang mit Waffen instruiert.
Seit dem Massaker vom 1. August 1966, das 13 Tote und 31 Verletzte forderte, ist der Turm auf dem Universitätsgelände von Austin geschlossen. Auf wiederholte Anfragen, nach 30 Jahren die Aussichtsplattform wieder für Besucher zu öffnen, erklärte die Universitätsleitung, man habe inzwischen eine Menge dazu gelernt und sei für alle Eventualitäten gerüstet, aber man wolle potenziellen Selbstmördern kein Forum bieten für terroristische Aktionen, die dem mühsam wieder hergestellten guten Ruf der University of Texas schaden könnten.
Ein echter Sympathieträger und Vorbild für die deutsche Jugend. Muss man als Industrialfan solche Leute gut finden???
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